Zeit für Film!

Einblick in die Trickkiste einer Filmlehrerin

Sascha Gratza, Filmlehrerin an der FOSBOS Straubing
Sascha Gratza, Filmlehrerin an der FOSBOS Straubing

 

Sascha Gratza, Innenarchitektin und freiberufliche Bühnenbildnerin aus Regensburg, arbeitet seit 2015 als Werkstattausbilderin in der Ausbildungsrichtung Gestaltung an der staatlichen Berufs- und Fachoberschule Straubing. Sie war lange Jahre als Bühnenbildnerin an verschiedenen Theatern und als Ausstattungsleiterin tätig. Heute konzentriert sich Sascha Gratza auf die Arbeit als Filmlehrerin. Sie konzipiert Fortbildungen und Lehrgänge zum Thema „Trick- und Experimentalfilm im schulischen Rahmen“ für Lehrkräfte und Schüler.

Im Gespräch mit Mona Klöckner (DOK.education) berichtet sie von der Filmpraxis mit Fachoberschüler*innen, der Besonderheit des Formats Trick- und Experimentalfilm und ihrer Begeisterung für das Filmschaffen im Klassenzimmer.

 

Sie haben Innenarchitektur studiert und die Multiplikator*innen-Ausbildung für Lehrkräfte im Bereich "Film und Theater" an der Akademie für Lehrkräftefortbildung in Dillingen absolviert. Was genau lernt man dort?

Für mich gab es bei diesem Lehrgang drei Ebenen die zu gleichen Teilen überraschend bespielt wurden: Zum ersten natürlich ein für Lehrerinnen und Lehrer sehr professioneller Einblick in die Filmgenres Spielfilm, Animation, Dokumentarfilm und ein Ausflug ins Experimentelle. Jeweils eine Woche wird in dem sehr praxisorientierten Lehrgang eine Thematik vorgestellt und professionelle Filmemacher*innen leiten die Lehrkräfte an, selbst filmisch zu denken, zu planen und auszuprobieren.

Der Zweite großartige Aspekt ist die Erkenntnis, wie relevant und notwendig es ist, Schüler*innen filmisches Arbeiten nahezubringen. Teamwork, Planung, und Organisation sind gefragt, aber auch Interaktion, Kreativität, ständiges Hinterfragen und eine gewisse Seh-Sucht. Filmemachen mit Schüler*innen löst Hierarchien auf, kanalisiert die Konzentration, sensibilisiert die Filmemacher*innen enorm, schärft den Blick!

Für mich persönlich gab es noch eine dritte Ebene, mit der ich nicht gerechnet hatte: Ein neuer Blick auf die Regie und Regieführung hat sich mir eröffnet. Regie im Theater ist klar hierarchisch strukturiert. Als Bühnenbildnerin war ich oft im Zwiespalt, den Willen der Regie mit Machbarkeiten des Hauses in Einklang zu bringen. Im Bereich Film, vielmehr im dokumentarischen Film, lernte ich eine emphatische Form der Regie kennen – dem Menschen zugewandt und dennoch gestaltend, lenkend und voller Ideen.

 

In Ihrem Lehrgang „Trick- und Experimentalfilm“ verwandeln Sie einen Klassenraum in 10 Trickfilm-Arbeitsplätze. Wie sind diese Klassen ausgestattet und wie muss man sich die Arbeitsweise in einem solchen Setting vorstellen?

In Zweierteams bauen sich die Teilnehmer ihre eigenen Sets auf: Eine Kamera – zunächst meist Tablet oder Handy – wird über der Spielfläche positioniert. Hier hilft z.B. ein Flaschenstativ (3 kleine Wasserflaschen sind schnelle Helfer). Das Licht wird durch Kunstlicht (Handy, Ringlicht, Schreibtischleuchte…) gesetzt. Nach der Definition des Hintergrunds werden erste Animationsvorgänge erarbeitet. Je überraschender die Verwandlung scheinbar belangloser Alltagselemente vonstatten geht, umso verzauberter sind Macherinnen und Betrachter.


Was fasziniert Sie persönlich an den Formaten Trick- und Experimentalfilm und wie war Ihr ursprünglicher Zugang zum Medium Film?

Im Trickfilm ist alles möglich. Scheinbar Seelenloses bekommt Persönlichkeit, Grenzen von Realität und Bodenhaftung werden gesprengt und kleinste banale Geschichten bekommen über eigene Ästhetik ein neues Gesicht und Gewicht. Im Theater kann das eine dekorative, interpretierende oder kontrastierende Form der Hintergrundgestaltung sein. In der Ausstattung von Theaterstücken habe ich erstmals einfache filmische Mittel einfließen lassen, da haben sich die Medien für mich verzahnt.

Heute ist das dokumentarische Vorgehen für mich sehr wertvoll geworden. Die Haltung, durch Zuhören und Interesse den Menschen wirklich nahe zu kommen, ist faszinierend und kann manchmal auch einen zarten illustrativen oder abstrahierten Aspekt über den Trickfilm verlangen.

 

Wie gehen Sie dabei vor, bei Ihren Schüler*innen die Lust am Filmemachen zu wecken? Wie regen Sie dazu an, spannende Geschichten zu erzählen und wie wirkt sich die Filmarbeit auf Alltag und Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen aus?

Es gibt so viele tolle filmische Beispiele, die wir gemeinsam betrachten und besprechen. Das allein macht schon Lust auf mehr. An der FOS/BOS in Straubing haben wir die Besonderheit, die Ausbildungsrichtung Gestaltung anbieten zu können. Zudem richten wir seit vergangenem Jahr die „Filmtage bayerischer Schulen“ aus und das macht mal richtig Lust auf Film! Unterm Strich ist es wahrscheinlich ganz schlicht so: Deine eigene Begeisterung überträgt sich auf die anderen.

Die Wirkung auf die Schülerinnen und Schüler ist im Prinzip ein Wechselbad der Gefühle: Es geht von der Begeisterung für das Medium Film aus, zur Erkenntnis der harten langen Arbeit in Vorbereitung und Planung, über die Erfahrung von Erfolg und Misserfolg bei der Suche nach Protagonist*innen und einer guten Geschichte, hin zu Verzweiflung über zu viel Filmmaterial oder verpatzte Aufnahmen. Über allem steht der respektvolle Umgang miteinander und gegenüber den Personen vor der Kamera.  Schließlich ermöglicht das gemeinsame Sichten in der kleinen Gruppe wieder objektives Sehen und im besten Falle Entschlacken und Gestalten können. Nach sechs harten Wochen stellen gewachsene, stolze Schüler*innen Ihre Filme vor und analysieren sie professionell.

Gestern bin ich erst wieder einer ehemaligen Schülerin begegnet, deren großer Wunsch es ist, an die Filmhochschule zu gehen. Einerseits zeigte sie sich völlig hochachtungsvoll vor dem enormen Druck der Aufnahmebedingungen, andererseits ist sie voller Lust am Filmen. Sie erzählte mir, sie würde nun erst einmal einen Film über eine Dokumentarfilmerin in Hamburg machen, dann sehe sie weiter. Die Chance, bereits in der Schule Film zu machen, bereichert und sensibilisiert die Schüler*innen in deren Wahrnehmung ihrer Umgebung und Mitmenschen enorm.

 

Was sind die wertvollen Aspekte der Filmpraxis an der Schule? Warum würden Sie anderen Lehrkräften das Filmemachen mit Schüler*innen empfehlen?

Es geht eine Faszination aus von Film. Man kann so vieles erschaffen, abbilden und interpretieren. Eine Sucht am Gestalten wollen, die einhergeht mit Planung, Teamwork, Hinterfragen, Zuhören und respektvollem Umgang miteinander. Technische Machbarkeit, ästhetische Prioritäten, kreative Lösungen und klar definierte Aufgaben sind eigenständig zu meistern, genauso wie Absprachen miteinander oder klare Regieentscheidungen. Besser kann man sich gar nicht rüsten um im späteren (Berufs-) Alltag einen klaren Kopf zu behalten.

Was sind ihre wertvollsten Tipps für andere Film-Lehrkräfte?

Genießen Sie den Suchtfaktor Film! Lassen Sie sich nicht abschrecken von der Technischen Hürde- das iPad nimmt Ihnen diese vollständig ab. Film kann in einer Doppelstunde entstehen. Keine Angst vor Zeitfressern. Setzen Sie die Schüler unter positiven zeitlichen Druck, das Ergebnis wird kompakter, in seiner Schlichtheit eleganter und strategischer aufgebaut. Filmen mit Schülern macht Staunen.

 

Frau Gratza, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview ist erstmals erschienen im Juni 2024 auf der Webseite des BLLV Bayerischer Lehrer und Lehrerinnenverband.

 

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