Filmmaking in Exile
– Eine Kollaboration des DOK.fest München mit dem Goethe-Institut im Exil
Was bedeutet eine Exilbiografie für den künstlerischen Schaffensprozess? Die fünf Filme der Reihe Filmmaking in Exile unterscheiden sich in ihrer Erzähl- und Herangehensweise teils stark, doch den Regisseur*innen ist eines gemeinsam: Sie können nicht mehr in ihre Heimatländer zurück.
Mit BELARUS 23.34 legt die Regisseurin Tatsiana Svirepa die Folgen von Repression dar, denen die Protestierenden in Minsk im Jahr 2020 ausgesetzt waren. Sie lebt mittlerweile im polnischen Lodz, nachdem sie in die Ukraine geflohen war. Was die Einsamkeit des Exils mit Familienbeziehungen macht, zeigt uns in einfühlsamen Bildern Yaser Kassab in CHASING THE DAZZLING LIGHT, der mit seinem in Syrien verbliebenen Vater gemeinsam an dem Film arbeitet. Die iranische Filmemacherin Farahnaz Sharifi lässt uns in ihrem essayistischen Film MY STOLEN PLANET an der Lebensfreude im Teheran der 1970er-Jahre teilhaben – die im krassen Gegensatz zur kontinuierlichen Unterdrückung der Frauen durch das heutige Regime der Hardliner steht. Einen persönlichen Zugang wählt die in München lebende kurdisch-alevitische Regisseurin Bahar Bektaş in EXILE NEVER ENDS – sie muss sich der Frage stellen, wie es für ihre Familie weitergehen wird, nachdem ihr Bruder nach mehr als 30 Jahren von Deutschland in die Türkei abgeschoben werden soll. Und mit SHAHID lotet die ebenfalls in München lebende iranische Regisseurin Narges Kalhor die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentarfilm aus. In ihrem Film erzählt sie den Versuch nach, ihren eigenen Familiennamen zu ändern. Mit ihren Emotionen und Gedanken teilen die Filmemacher*innen die Erfahrungen, die das Exil mit sich bringt und machen sie für uns erfahrbar – das ist das große Geschenk dieser Filme an das Publikum.
Das Goethe-Institut im Exil wurde im Oktober 2022 als Projektraum in Berlin gegründet: Es soll Kulturschaffende aus Ländern, in denen das Goethe-Institut nicht mehr aktiv sein kann, weiterhin unterstützen und ihnen eine Plattform bieten. Neben künstlerischen Programmformaten stehen die Vernetzung mit verschiedenen Kulturszenen, aber auch Weiterbildung und Community-Arbeit im Mittelpunkt der Aktivitäten.
Marc-André Schmachtel
Die Filme
BELARUS 23.34
Belarus/Dänemark/Polen/Ukraine 2023, Tanya Svirepa, 65 Min., OmeU
Voll Kraft und Hoffnung gehen nach der Scheinwahl in Belarus Millionen Menschen auf die Straße. Die Bilder der mit Blumen „bewaffneten“ Frauen, denen Polizisten mit Schlagstöcken entgegentreten, gehen um die Welt. BELARUS 23.34 enthüllt die brutale Vorgehensweise des Staates gegen friedliche Demonstrant*innen, die nur eines fordern: Das Regime soll endlich den Weg freimachen für Demokratie.
CHASING THE DAZZLING LIGHT
Schweden 2023, Yaser Kassab, 63 Min., OmeU
Wie sein Vater in den 1980er-Jahren, wandert Yaser Kassab aus Syrien nach Europa aus, um Filmemacher zu werden. Trotz räumlicher Trennung arbeiten sie gemeinsam per Telefon und Videoanrufen an einem Filmprojekt. CHASING THE DAZZLING LIGHT zeichnet ein bewegendes Porträt der Beziehung zwischen Vater und Sohn und enthüllt eine große Einsamkeit: getrennt von der Familie und herausgefordert vom Neuanfang.
EXILE NEVER ENDS
Deutschland 2024, Bahar Bektas, 100 Min., OmeU
„Die Sehnsucht nach der eigenen Heimat hört nie auf“, sagt die Filmemacherin Bahar Bektaş. Ihr Bruder sitzt in Deutschland im Gefängnis. Er soll abgeschoben werden und wartet auf die beantragte vorzeitige Überstellung in die Türkei. Und weil das Warten kein Ende zu nehmen scheint, richtet Bahar die Kamera auf ihre alevitisch-kurdische Familie und geht der Frage nach, welche Auswirkung Entwurzelung hat.
MY STOLEN PLANET
Deutschland/Iran 2024, Farahnaz Sharifi, 82 Min., OmeU
Bereits am 08. März 1979, kurz nach der Islamischen Revolution, protestierten iranische Frauen gegen den Kopftuchzwang. MY STOLEN PLANET erinnert an den seither andauernden Freiheitskampf und die Diskrepanz zwischen privatem und öffentlichem Leben. Archivbilder, Super-8-, VHS- und Handyvideos dokumentieren persönliche Akte des Widerstands und der Lebensfreude, die im Ruf nach „Frau! Leben! Freiheit!“ münden.
SHAHID
Deutschland 2024, Narges Kalhor, 84 Min., OmeU
Nomadisches Kino der fabelhaften Geschichten: Wenn der Nachname „Shahid“ Märtyrer bedeutet, Generationen politischer Traumata enthält und eine Zukunft zu verhindern scheint. Sind es bürokratische oder innere Hürden, was das Eigene, was das Andere? SHAHID ist ein kunstvoll verwobener Film über postmigrantische Familiengeschichte und über die Freiheit, alle Genregrenzen beim Filmemachen zu überschreiten.
Die Filme beim Festival
Die Filme der Reihe Filmmaking in Exile können Sie beim 39. DOK.fest München sehen:
02. bis 12. Mai 2024 an den Münchner Spielorten
06. bis 20. Mai 2024 deutschlandweit online @home